• 22. Februar 2024

Immer wieder: Klagebefugt ist (nur) die GdWE!

Nachbarklage scheitert

  1. Problemlage

Wer gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück vorgehen will, muss dazu (klage-) befugt sein. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist klagebefugt, wer geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft stellt sich die Frage, ob solche eigenen Rechte durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder einen einzelnen Sondereigentümer geltend gemacht werden können.

  1. Rechtsprechung

Bislang hatte die Rechtsprechung eine Klagebefugnis des einzelnen Sondereigentümers regelmäßig verneint. Nur die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband sei berechtigt, Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück geltend zu machen. Denn das Grundstück gehöre zum gemeinschaftlichen Eigentum und werde gemeinsam verwaltet. Eine Klagebefugnis des Sondereigentümers käme nur dann in Betracht, wenn die in Betracht kommenden Abwehrrechte sich gerade und in erster Linie auf das Sondereigentum bezögen.

  1. Reform des WEG

Seit 01.12.2020 gilt das reformierte WEG-Recht. Nach § 9a Abs. 2 WEG übt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.

Die Befugnis, öffentlich-rechtliche Nachbaransprüche im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum geltend zu machen, steht deshalb der WEG als geborene Ausübungsbefugnis zu. Es bedarf keines gesonderten Beschlusses über die gemeinschaftliche Ausübung.

  1. Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg

Nunmehr liegt zu § 9a WEG auch eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg vor.

In der Vorinstanz hatte das Verwaltungsgericht Berlin über einen Eilantrag eines Sondereigentümers zu entscheiden. Der Sondereigentümer hatte das Dachgeschoss erworben und wandte sich gegen eine Genehmigung für die Errichtung einer Unterkunft für Flüchtlinge. Das VG verneinte eine Klagebefugnis, weil es vorliegend um rein grundstücksbezogene Abwehrrechte gehe, die allein der Wohnungseigentümergemeinschaft zustünden. Teilweise entgegenstehende Rechtsprechung sei jedenfalls durch die Schaffung des § 9a Abs. 2 WEG überholt. Eine geborene Ausübungsbefugnis der WEG schließe die Ausübungsbefugnis von grundstücksbezogenen Nachbarrechten durch die einzelnen Wohnungseigentümer aus.

Dies gelte auch für das allgemeine nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Zwar könne in einzelnen Fällen eine Klagebefugnis des Sondereigentümers bestehen, wenn der Behörde in besonderer Weise der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentümers aufgetragen sei. Dann müssten sich die in Betracht kommenden Abwehrrechte aber und gerade auf das konkrete Sondereigentum beziehen.

Diese Auffassung wurde durch das OVG jetzt bestätigt. Hinsichtlich des nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruchs stehe die Ausübungs- und Wahrnehmungsbefugnis und damit auch das Recht zur gerichtlichen Geltendmachung ausschließlich dem Verband und nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer zu.

Für das Rücksichtnahmegebot sei zwar denkbar, dass sich der Schutzbereich auch auf das Sondereigentum erstrecken könne, sofern die besorgte Beeinträchtigung ausschließlich oder zumindest auch das Sondereigentum betreffe. Das OVG hat am Ende offen gelassen, ob eine solche konkrete Beeinträchtigung hier zu befürchten war. Zum Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Genehmigung sei der antragstellende Sondereigentümer noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen gewesen. Damit war für das OVG die Möglichkeit einer Betroffenheit ausgeschlossen; die später erfolgte Eintragung hatte außer Betracht zu bleiben.

  1. Bewertung

Im Ergebnis liegt die Entscheidung auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung. Wenn die Behörde den Nachbar eines Bauherrn zum Beispiel nach § 70 BauO Bln zu einem Bauvorhaben anhören möchte, wird sie das Schreiben im Fall einer WEG im Regelfall an den Verwalter adressieren. Dann muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entschieden, ob und ggf. wie sie weiter vorgehen möchte. Ein Sondereigentümer, der eine besondere Beeinträchtigung in dem von der Rechtsprechung skizzierten Umfang befürchtet, kann sich auf ein Tätigwerden der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer trotz der Zuständigkeit nach § 9a WEG aber nicht verlassen. Schwierig bleibt insoweit die Einschätzung, ob eine etwaige Beeinträchtigung gerade ein bestimmtes Sondereigentum in besonderer Weise betrifft und mit dieser Begründung ausnahmsweise eine Klagebefugnis des Sondereigentümers angenommen werden kann.

 

Autor

Dr. Cornelius Pfisterer

Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

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