Aktuelles • 02. Mai 2020

Keine Brandwand:

Nachbar hat Beseitigungsanspruch

Der Grundstücksnachbar kann bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauordnungsrechts – fehlende Brandwand – die Beseitigung der Störung auch von dem Grundstückseigentümer verlangen, der einen solchen Zustand seines Gebäudes (nur) aufrechterhält.

Es bedarf keiner über die Verletzung des Schutzgesetzes hinausgehenden Beeinträchtigung des Nachbarn; der Zustand des Gebäudes muss nicht konkret „gefahrenträchtig“ sein, wenn das Schutzgesetz dies nicht verlangt (Klarstellung zu Senat, Urteil vom 22. Sept. 2000 – V ZR 443/99, NZM 2001, 396, 397).

Sachverhalt: Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in einem reinen Gewerbegebiet, wobei das Gebäude der Beklagten nicht über eine Gebäudeabschlusswand in Brandschutzqualität verfügt. Seit 1996 betreibt die Beklagte. dort eine Schankwirtschaft mit Livemusik. Eine hierfür am 12. Juli 2016 nachträglich erteilte Baugenehmigung ist nicht bestandskräftig geworden. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Baugenehmigung aufgehoben und das Land Berlin verpflichtet, die Nutzung als Gaststätte mit Musikveranstaltungen zu untersagen. Vor den Zivilgerichten fordert die Klägerin die Beseitigung des infolge der fehlenden Brandwand gemäß § 30 BauO Berlin bestehenden bauordnungsrechtswidrigen Zustands. In erster Instanz ohne Erfolg, auch das Berufungsgericht hält die Klage für unbegründet. Der Beseitigungsanspruch sei nicht gegeben. Zwar verfüge das Grundstück der Beklagten nicht über die gemäß § 30 BauO Berlin aus Brandschutzgründen erforderliche Gebäudeabschlusswand. Die Beklagte sei jedoch nicht als Störerin anzusehen. Die Haftung als Zustandsstörerin erfordere eine wertende Betrachtung und komme nur in Betracht, wenn tatsächlich ein gefahrenträchtiger Zustand des Gebäudes vorliege; eine rein formale, von der Beklagten nicht herbeigeführte Baurechtswidrigkeit reiche nicht aus. An einem solchen gefahrenträchtigen Zustand fehle es, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Brandschutz unzureichend sei. Die Darlegungs- und Beweislast trage insoweit die Kl.; sie habe keine konkreten Anknüpfungstatsachen für eine Gefahr dargelegt.

BauO Bln: § 30 Brandwände

(1) Brandwände müssen als raumabschließende Bauteile zum Abschluss von Gebäuden (Gebäudeabschlusswand) oder zur Unterteilung von Gebäuden in Brandabschnitte (innere Brandwand) ausreichend lange die Brandausbreitung auf andere Gebäude oder Brandabschnitte verhindern.

(2) Brandwände sind erforderlich

1.als Gebäudeabschlusswand, ausgenommen von Gebäuden ohne Aufenthaltsräume und ohne Feuerstätten mit nicht mehr als 50 cm Brutto-Rauminhalt, wenn diese Abschlusswände an oder mit einem Abstand von weniger als 2,50 Meter gegenüber der Grundstücksgrenze errichtet werden, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert ist,

Entscheidung: Der BGH ist anderer Auffassung und korrigiert die Entscheidung des Kammergerichts. Die Verletzung nachbarschützender Bauvorschriften begründe sowohl einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch als auch einen (quasinegatorischen) verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch des Nachbarn gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB. Diese Rechtsprechung habe ihren gedanklichen Ausgangspunkt in der Überlegung, dass jeder, der unter Verstoß gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes fremde Rechtsgüter beeinträchtigt, grundsätzlich dazu verpflichtet ist, diese Beeinträchtigung für die Zukunft zu beseitigen, und zwar unabhängig von einem Vertretenmüssen im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB. Dieser zunächst für den Bereich des Ehrschutzes entwickelte Grundsatz gilt auch für das Nachbarrecht. Andernfalls müsste nämlich ein Grundstückseigentümer, dessen Interessen durch ein an den Nachbarn gerichtetes Ge- oder Verbot des Baurechts geschützt werden sollen, eine fortdauernde Beeinträchtigung dieser Interessen allein deshalb hinnehmen, weil der Nachbar die Setzung der Ursache der Beeinträchtigung nicht zu vertreten hat. Die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung wird durch die Schutzgesetzverletzung indiziert. Steht der Zustand eines Gebäudes im Widerspruch zu nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts, kann der Nachbar infolgedessen mit dem quasinegatorischen Beseitigungsanspruch die Beseitigung der Störung verlangen. Im Ergebnis wird dem Nachbarn damit die Möglichkeit eröffnet, auch auf zivilrechtlichem Wege die Einhaltung drittschützender Normen des öffentlichen Rechts zu erzwingen.

Kommentar: Die in § 30 BauO Berlin enthaltene Regelung über Brandwände als Gebäudeabschlusswände soll der Ausbreitung von Bränden vorbeugen und hat deshalb nachbarschützende Wirkung. Es kommt nicht darauf an, ob der Zustand bei Erwerb des Eigentums schon vorhanden war. Dies gilt auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall, das Problem durch eine Grundstücksteilung entstanden ist. Ein Grundstückseigentümer, der einen mit nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts unvereinbaren Zustand seines Gebäudes aufrechterhält, ist ohne weiteres als Zustandsstörer anzusehen. Da der zivilrechtliche Beseitigungsanspruch selbständig neben etwaigen öffentlich-rechtlichen Ansprüchen steht, kann der Nachbar sowohl vor den Verwaltungsgerichten als auch vor den Zivilgerichten klagen.

Autor

Dr. Cornelius Pfisterer

Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Weitere Beiträge

• 21. März 2024

Umwandlung nach § 250 BauGB: VG Berlin lehnt Genehmigung ab

Für den Ausnahmefall „Veräußerung an Mieter“ ist eine gesicherte Prognose erforderlich
• 21. März 2024

Bauvertrag: Vertragsstrafe unwirksam

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Februar 2024 eine weitere Grundsatzentscheidung zur Wirksamkeit von Vertragsstrafenklauseln gefällt.
• 07. März 2024

Teileigentum zu Wohnungseigentum: Umwandlung erleichtert

Nach der neuer AVA bedarf es keiner aus dem Aufteilungsplan ersichtlichen Mindestausstattung für die Abgeschlossenheit einer Wohnung im Sinne von § 3 Abs. 3 WEG.
• 22. Februar 2024

Klagebefugt ist (nur) die GdWE!

Keine Klagebefugnis, wenn es um rein grundstücksbezogene Abwehrrechte geht, die allein der Wohnungseigentümergemeinschaft zustehen.
Meldung • 20. Dezember 2023

Vorkaufsrecht und Abwendungsvereinbarung

OVG Berlin-Brandenburg bestätigt die Kündbarkeit von Abwendungsvereinbarungen
• 06. November 2023

Bebauungstiefe und Baunutzungsplan

Entscheidend ist die Frage, ob die Behörde für eine Ausnahme von der Bebauungstiefe die Zustimmung des Nachbareigentümers verlangen kann oder muss.
• 28. September 2023

update GbR

Ab 1. Januar 2024 wird für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein Gesellschaftsregister eingeführt. Die GbR wird zur eGbR. Wenn die GbR eine Immobilie hat, bestehen
• 21. September 2023

Wohnungskaufvertrag:

Ein lesenswertes Lehrstück des OLG Koblenz zu Grundfragen der Gewährleistung beim Kauf einer Eigentumswohnung #Instandhaltungsrücklage #Sachmangel #Beschaffenheitsvereinbarung
• 17. August 2023

#stellefrei

• 11. August 2023

Beweisverfahren: BGH ändert Rechtsprechung zur Verjährung

Die Verjährung von Mängelansprüchen wird – wie bei eine Klage – durch das selbstständige Beweisverfahren gehemmt. Die Hemmung endet nach Beendigung des Verfahrens.
• 08. August 2023

Dachterrasse: Isoliertes Sondereigentum zulässig

An einer im Dachgeschoss gelegenen Dachterrasse kann Sondereigentum auch dann begründet werden, wenn diese an keine Wohnungs- oder Teileigentum angebunden ist (KG, Beschluss v
• 16. Juni 2023

WEG: Der zertifizierte Verwalter kommt

Jeder Wohnungseigentümer kann verlangen, dass ein zertifizierter Verwalter bestellt wird. Dieser Anspruch kann auch gerichtlich durchgesetzt werden.
Meldung • 15. Mai 2023

Vorkaufsrecht und Abwendungsvereinbarung

Mit Beschluss vom 9. September 2022 hatte das Verwaltungsgericht Berlin – 19. Kammer – entschieden, dass Abwendungsvereinbarungen wegen der rechtswidrigen Vorkaufsrechtsausübu
Meldung • 20. April 2023

Reservierungsvereinbarung unwirksam

Meldung • 03. April 2023

Barzahlung Bye-bye

Bei Immobiliengeschäften gilt seit dem 1. April 2023 ein Barzahlungsverbot. Dessen Einhaltung ist der Notarin bzw. dem Notar nachzuweise
Meldung • 03. Januar 2023

Betreuungsrecht reformiert

Zum 1. Januar 2023 wurde das Vormundschafts- und Betreuungsrecht umfassend reformiert. Der neue § 1358 BGB gibt Ehegatten für den Notfall ein gegenseitiges Vertretungsrecht im
Meldung • 02. Januar 2023

Mehr Licht bitte!

Das Solargesetz Berlin verpflichtet Sie, bei allen Neubauvorhaben, die Sie nach dem 31.12.2022 beginnen, 30 % der Dachfläche mit einer Photovoltaikanlage zu versehen.
Meldung • 01. Dezember 2022

Wie Du mir, so ich Dir

Die Vorschriften zum Grenzabstand (§ 5 NBauO) entfalten abstrakt-generell nachbarschützende Wirkung.